Nicht mit zweierlei Maß!

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Gemeinsame Presseerklärung

Kiel, 7.3.2022

Nicht mit zweierlei Maß!

EU will die Opfer des Ukraine-Krieges unterschiedlich behandeln.

Nichtregierungsorganisationen und Zuwanderungsbeauftragter fordern schleswig-holsteinische Gleichbehandlungspraxis bei der Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine ein.

„Sie sagten: ‚Schwarze Menschen sollen zu Fuß gehen.‘“ Die Nigerianische Medizinstudentin Jessica Orakpo berichtet der BBC von ihren Erfahrungen auf der Flucht aus dem ukrainischen Ternopil nach Ungarn. Yemi, ein Nigerianischer Student aus Kiew, berichtet, dass er und seine Schwarze Freundin von Soldaten aus dem Zug gewiesen worden seien. Andere weiße ukrainische Flüchtende hätten gesagt, nur Ukrainier*innen dürften mitfahren. Haustiere wären eher in die Züge gelassen worden, als Schwarze Menschen auf der Flucht.

Darüber hinaus häufen sich Berichte, dass u.a. an der polnischen Grenze Personen aus Afghanistan, Jemen, Syrien und anderen Drittstatten, die sich aus der Ukraine retten wollen, rechtswidrigen Push Backs unterzogen und in das kriegsgeschüttelte Land  zurückgewiesen werden.

Inzwischen besteht die Gefahr, dass die Europäische Union ein Zwei-Klassen-System bei der Aufnahme von laut UNO bis dato schon 1,4 Mio.[1] Geflüchteten aus der Ukraine aufbaut. Gemäß der vom Europäischen Rat am 3.3.2022 beschlossenen Massenzustromrichtlinie[2] sollen nunmehr die aus der Ukraine zwar vor denselben Bedrohungen Flüchtenden allerdings ungleich behandelt werden[3]:

Den Schutz der Massenzustromsrichtlinie sollen alle ukrainischen Staatsangehörigen und ihre Familien sowie Flüchtlinge mit internationalem Schutzstatus erhalten. Bei Drittstaatenangehörigen mit Langzeit-Aufenthalt in der Ukraine ist es allerdings den Mitgliedsstaaten freigestellt, die Richtlinie oder stattdessen bestehendes nationales Recht anzuwenden. Dies war wohl ein Zugeständnis an die Visegrad-Länder, die sich schon seit Jahren der Aufnahme von insbesondere nichteuropäischen Migrant*innen aus Drittstaaten verweigern. Arbeitsmigrant*innen und Studierende aus Drittstaaten fallen laut EU Ratsbeschluss gleich ganz aus dem Schutzversprechen der EU. Sie dürfen zwar einreisen, aber nur, um ihre zeitnahe Weiterreise in ihre Herkunftsländer anzutreten.[4]

Gegen Ungleichbehandlung zahlreicher aus der Ukraine fliehenden Menschen, die einer vergleichbaren Lebenssituation entfliehen wie Ukrainische Staatsangehörige, erheben die unterzeichnenden Organisationen Antidiskriminierungsverband SH, Arbeiterwohlfahrt SH, Arbeit und Leben SH, Diakonie SH, Flüchtlingsbeauftragte der Ev. Luth. Nordkirche, Flüchtlingsbeauftragte des Ev. Luth. Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg, Flüchtlingsrat SH, Frauennetzwerk zur Arbeitssituation, Landeszuwanderungsbeauftragter SH, Lübecker Flüchtlingsforum, Der PARITÄTISCHE SH, Refugee Law Clinic Kiel, Refugio-Stiftung SH, Runder Tisch gegen Rassismus und Faschismus Kiel, Seebrücke Kiel, Solidaritätszentrum Lübeck, Türkische Gemeinde SH, UTS und ZBBS ihren gemeinsamen Widerspruch.

Dass der Beschluss Ukrainer*innen eine weitgehend großzügige Aufnahme auch für ihre Familien über den Kernfamilienbegriff hinaus sowie Aufenthaltserlaubnisse mit Zugang zu Beschäftigung und ggf. Sozialleistungen einräumt, trifft auf die Zustimmung der unterzeichnenden Organisationen. Kritisiert wird aber, dass Flüchtlinge aus Drittstaaten laut Ratsbeschluss nicht überall in den Genuss der Richtlinie kommen, sondern stattdessen lediglich in die Drehtür zur Weiterreise in ihre Herkunftsländer gestellt werden sollen.

„Es steht darüber hinaus zu befürchten, dass vordem aus Drittstaaten in die Ukraine geflüchtete und dort noch nicht anerkennte Schutzsuchende, die nun weiterflüchten, hierzulande ins Asylverfahren gedrängt werden, anstatt für sie genauso wie für ukrainische Staatsangehörige die Massenzustromrichtline anzuwenden“, zeigt sich Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein besorgt.

Die demselben Krieg entfliehenden Menschen in ihren rechtlichen Möglichkeiten nach Hautfarbe und Herkunft ungleich zu behandeln, ist ein eklatanter Verstoß gegen die UN Antirassismuskonvention[5] und nicht zuletzt gegen die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie[6].

Doch das Land Schleswig-Holstein ist in seiner Aufnahmepraxis unter Wahrung des Gleichheitsrechtsgrundsatzes aus Artikel 3 GG gar nicht gezwungen, diese Vorgaben des EU-Rats-Beschlusses zu übernehmen.

Mit Blick auf den in Kürze erwarteten Ukraine-Erlass des Kieler Innenministeriums dringen die unterzeichnenden Organisationen darauf, unter Berücksichtigung der Botschaft des Artikel 7 Absatz 1der Richtlinie auch den von dem Beschluss des Rates nach Artikel 5 nicht erfassten Gruppen von Vertriebenen Schutz gewähren.

Dies wären neben ukrainischen Staatsangehörigen, Drittstaatsangehörige, die in der Ukraine einen längeren als nur touristischen Aufenthalt haben/hatten, wie z. B. drittstaatsangehörige Studierende und Auszubildende, Arbeitsmigrant*innen, Flüchtlinge die noch in einem laufenden Verfahren sind. Sollten diese Personen keine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG erhalten können, so ist denen zumindest ein vergleichbares Aufenthaltsrecht zu ermöglichen und der Zugang zu Unterkunft, Leistungen zum Lebensunterhalt, Beschäftigungs-, Ausbildungs- und Studiumsmöglichkeit sowie Zugang zu den Integrationsangeboten zu gewähren.

Dabei sollen alle im Bundesland aufgenommenen Ukraine-Geflüchteten bei der Aufenthaltsgewährung, Beschäftigungserlaubnis, bei Leistungen zum Lebensunterhalt, Zugang zu Sprach- und Integrationsförderangeboten sowie bei der Freiheit der Wohnsitznahme gemäß der Massenzufluchtsrichtlinie unterschiedslos behandelt werden.

Für Solidarität und gleiche Rechte für alle von Krieg bedrohten Menschen!

Unterzeichner*innen:

  • Antidiskriminierungsverband Schleswig-Holstein e.V.
  • Arbeiterwohlfahrt Schleswig-Holstein
  • Arbeit und Leben Schleswig-Holstein e.V,
  • Diakonie Schleswig-Holstein
  • Flüchtlingsbeauftragte der Ev. Luth. Nordkirche
  • Flüchtlingsbeauftragte des Ev. Luth. Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg
  • Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
  • Frauennetzwerk zur Arbeitssituation e.V.
  • Landeszuwanderungsbeauftragter SH
  • Lübecker Flüchtlingsforum e.V.
  • Der PARITÄTISCHE SH
  • Refugee Law Clinic Kiel
  • Refugio-Stiftung SH
  • Runder Tisch gegen Rassismus und Faschismus Kiel
  • Seebrücke Kiel
  • Solidaritätszentrum Lübeck
  • Türkische Gemeinde Schleswig-Holstein e.V.
  • Umwelt Technik Soziales – UTS e.V.
  • Zentrale Bildungs- und Beratungsstelle Schleswig-Holstein – ZBBS e.V.

gez. i.V. Martin Link, T. 0431-5568 5640, public@frsh.de

Mehr Informationen zur Situation von und für aus der Ukraine flüchtenden Menschen:

Landeszuwanderungsbeauftragter Schleswig-Holstein: https://www.landtag.ltsh.de/beauftragte/fb/ukraine/

[1] https://www.thenationalnews.com/world/europe/2022/03/04/ukraines-refugees-un-map-shows-12million-have-fled-and-where-they-are-heading/

[2] https://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/Gesetzestexte/EU-RL_voruebergehender_Schutz.pdf

[3] https://www.proasyl.de/news/ratsbeschluss-schneller-schutz-fuer-fluechtlinge-aus-der-ukraine/

[4] Quelle: PK des EU Rats für Justiz und Inneres am 3.3.2022: https://video.consilium.europa.eu/event/en/25480

[5] https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/menschenrechtsschutz/deutschland-im-menschenrechtsschutzsystem/vereinte-nationen/vereinte-nationen-menschenrechtsabkommen/konvention-gegen-rassismus-icerd

[6] https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2000:180:0022:0026:de:PDF

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