Organisationen fordern Aufnahme für Deserteure des Ukraine-Krieges, wirksame Abschiebungsstopps und Bleiberechtsregelung

Veröffentlicht am

Anlässlich der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern vom 30.11. – 2.12.2022 in München fordern in Schleswig-Holstein und bundesweit engagierte Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen einen Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik und nachhaltige Maßnahmen gegen flüchtlingsfeindliche Gewalt.

Nach der Mobilmachung in der Russischen Föderation und in Belarus scheitert die Flucht von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren regelmäßig an der vom Bund Anfang September verfügten Aussetzung der Visaerleichterungen für russische und belarussische Staatsangehörige. In ihren Heimatländern drohen russischen, belarussischen und ukrainischen Militärdienstverweigerern und Deserteuren Verfolgung und Haftstrafen unter menschenunwürdigen Bedingungen.

  • Russischen, belarussischen und ukrainischen Kriegsdienstverweigerern muss die Möglichkeit zum Zugang in ein chancenwahrendes Asylverfahren und regelmäßig Abschiebungsschutz gewährt werden.

Aktuell verweigern einige Bundesländer die Aufnahme weiterer Schutzsuchender des Krieges. Gleichzeitig herrscht eine der Idee des Gleichbehandlungsgrundsatzes widersprechende aufenthaltsrechtliche Ungleichbehandlung von Staatsbürger*innen und Drittstaatler*innen aus der Ukraine. Das wird nur noch übertroffen durch die asyl-, aufenthalts- und sozialrechtliche Diskriminierung, die für Geflüchtete aus außereuropäischen Kriegen und Verfolgerstaaten Alltag ist.

  • Wir fordern, Grundlagen dafür zu schaffen, dass alle Geflüchteten rechtlich gleichbehandelt und unterstützt werden – unabhängig davon, wann und woher diese zu uns geflüchtet sind. Dies soll sowohl den Zugang zu Arbeit und Ausbildung wie auch zu staatlichen Transferleistungen, Unterkunft, Betreuung sowie den Familiennachzug betreffen.

Die mit dem geplanten Bürgergeld einhergehende Verbesserung für die Leistungsbezieher*innen gehen vollständig an den Geflüchteten vorbei und verstärken deren angesichts der Preisentwicklung ohnehin eskalierendes Prekariat.

  • Wir fordern die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und Zugang der bis dato nach Asylbewerberleistungsgesetz berechtigten Personengruppen zu SGB II/SGB XII-Leistungen.

Im Schatten des Ukraine-Krieges eskaliert die Gewalt zwischen Oppositionellen und der Staatsmacht im Iran. Opfer sind nach Presseberichten Hunderte von Toten und Tausende in den Verließen des Regimes Gefolterte und Verschwundene. Das Auswärtige Amt fordert angesichts möglicher Gefährdungen deutsche Staatsangehörige auf, das Land zu verlassen. Trotz politischer Bekenntnisse der Solidarität mit den Aufständischen und Opfern im Iran seitens deutscher Regierungsvertreter- und Politiker*innen droht auch dort, wo Bundesländer Mini-Abschiebestopps erlassen haben, ausreisepflichtigen, i.d.R politisch exilierten Iraner*innen weiterhin die Abschiebung.

  • Wir fordern einen sofortigen bundeseinheitlichen Abschiebungsstopp für den Iran.

Während die Bundesregierung jüngst ein Bundesaufnahmeprogramm für monatlich allenfalls 1.000 gefährdete Personen aus Afghanistan angekündigt hat, sind zahlreiche im Asylverfahren gescheiterte Afghan*innen nach wie vor ausreisepflichtig. Allzu oft sind es die mit der aufenthaltsrechtlichen Duldung einhergehenden Hürden, die ihnen eine Aufenthaltssicherung auf Grundlage nachhaltiger Integration in Sprache, Bildung und Beschäftigung und damit die Unabhängigkeit von Leistungen der öffentlichen Hand versagen.

  • Wir fordern eine Ausweitung des Bundesaufnahmeprogrammes für afghanische Staatsangehörige auf bis zu 2.000 Personen pro Monat bis zum Ende der Wahlperiode. In dieses Bundesaufnahmeprogramm sollen auch die Personen aufgenommen werden können, die aufgrund der Lage in Afghanistan das Land bereits in ein Drittland verlassen haben.

Wie Letzteren ergeht es ca. 250.000 geduldeten Geflüchteten bundesweit. Das von der Bundesregierung ausgelobte Chancen-Aufenthaltsrecht gibt als Stichtagsregelung und mit seinen zahlreichen Ausschlusskriterien nur für einen Teil von ihnen Aussicht auf ein dauerhaftes Bleiberecht. Der Bundestag befasst sich aktuell mit dem Gesetzentwurf. Wir haben den Eindruck, dass offenbar bundesweit Ausländerverwaltungen versuchen, destruktive Fakten zu schaffen und gerade solche Personen, denen die erwartete Regelung eine Bleibeperspektive gäbe, rechtzeitig vor Inkrafttreten der neuen Rechtslage abzuschieben.

  • Wir fordern eine bundeseinheitliche Vorgriffsregelung für potentiell vom bevorstehenden Chancenaufenthaltsrecht Begünstigte.

Unter anderem auf der sogenannten Balkanroute geraten Schutzsuchenden an den Grenzen der EU u.a. in Bosnien und Serbien in Obdachlosigkeit. Nach Intervention des Bundesinnenministeriums machen die Grenztruppen beider Seiten den Grenzübertritt im Widerspruch zu internationalem und europäischem Recht unmöglich und prügeln Menschen zurück. Derweil kommt der Winter. Ihm und der Gewalt sind insbesondere Vulnerable, Frauen und Minderjährige, hilflos ausgeliefert.

  • Wir fordern den Beschluss eines Winternot-Aufnahmeprogramms für vulnerable Personen aus den wilden Lagern Geflüchteter an den osteuropäischen Rändern der EU und einen West-Balkan-Winterabschiebungsstopp.

In Erwartung einer Zunahme der Einwanderung von Geflüchteten erhöhen die Bundesländer ihre Lagerplatzkapazitäten jeweils um Tausende Plätze. In Kommunen und Gemeinden findet eine Reanimation der Unkultur statt, die Schutzsuchende in integrationsfeindlichen und sozial ausgrenzenden Gemeinschaftsunterkünften und Provisorien wohnverpflichtet. Insbesondere für Frauen und Minderjährige bergen diese Orte erhebliche Risiken, Opfer von Gewalt und Missbrauch zu werden.

  • Wir fordern die Änderung des AsylG mit dem Ziel der Aufhebung der Wohnverpflichtung in Gemeinschaftsunterkünften und einen IMK-Beschluss zur bundesweit verbindlichen Implementierung von nachhaltig wirksamen Schutzkonzepten.

Unsicherheit in Lagern geht sowohl von anderen Wohnverpflichteten, wie auch von Mitarbeitenden privater Sicherheitsdienste aus. Laut BMI werden darüber hinaus gegenüber dem Vorjahr mehr Anschläge auf Unterkünfte gezählt. Unter anderen das Münchner Aktionsbündnis für Geflüchtete Frauen beklagt anlässlich der IMK, dass gleichzeitig innerhalb der migrantischen Communities das Vertrauen in die mit ihrer Sicherheit beauftragten staatlichen Ordnungsbehörden schwindet. Fälle von Täter/Opfer-Umkehr bei rassistisch motivierten Straftaten – z.B. beim NSU oder in Hanau – oder für die Täter offenbar konsequenzlose polizeiliche Todesschüsse haben hier wohl ihren Anteil. Das u.a. vom Europäischen Menschenrechtsrat immer wieder verurteilte Racial Profiling bleibt dennoch ständige Praxis in Polizeikontrollen und Alltag für Black, Indigenous and People of Color (BIPoC). Immer wieder werden rechtsextreme Netzwerke und Chatgruppen aus Polizeikreisen öffentlich.

  • Wir fordern ein Ende der ständigen Einzeltäterthese bei Ermittlungen rassistischer Straftaten, Beschlüsse zur nachhaltigen Ausgrenzung von Rassist*innen und Rechtsextremisten aus der Polizei und aus privaten Sicherheitsdiensten und die Etablierung von unabhängigen externen Ermittlungsstellen in Fällen von Polizeigewalt.

Unterzeichnende:

  • Antidiskriminierungsverband Schleswig-Holstein e.V.
  • Arbeiterwohlfahrt Schleswig-Holstein
  • Borderline Europe e.V.
  • Diakonisches Werk Schleswig-Holstein
  • Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
  • Flüchtlings- und Menschenrechtsbeauftragte der Ev. Luth. Kirche in Norddeutschland
  • Landesbeauftragte für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen Schleswig-Holstein
  • lifeline – Vormundschaftsverein für unbegleitete minderjährige Geflüchtete in Schleswig-Holstein e.V.
  • Lübecker Flüchtlingsforum e.V.
  • Refugio Stiftung Schleswig-Holstein e.V.
  • Seebrücken Schleswig-Holstein, Seebrücke Kiel und Seebrücke Neumünster
  • TIO – Treff und Informationsort für Migrant*innen e.V., Kiel
  • ZBBS – Zentrale Bildungs- und Beratungsstelle für Migrant*innen Schleswig-Holstein e.V.
  • ZEIK – Zentrum für Empowerment und Interkulturelle Kreativität, Kiel

Pressekontakt: Martin Link, Flüchtlingsrat SH, T. 0431-5568 5640, public(at)frsh.de, www.frsh.de

Veröffentlicht am
Cookie Consent mit Real Cookie Banner Skip to content