1993 beschloss der Bundestag die Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes als Instrument der Abschreckung. Zum 30. Jahrestag der Beschlussfassung am 26. Mai fordern mehr als 200 Organisationen die Gleichbehandlung aller Menschen in Deutschland nach den Regeln des Sozialgesetzbuchs: „Es gibt nur eine Menschenwürde – Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!“
Am 26.5.1993 beschloss der Bundestag im sogenannten „Asylkompromiss“, das in der Verfassung garantierte Grundrecht auf Asyl stark zu beschneiden, um Flüchtlinge möglichst fernzuhalten. Gleichzeitig wurde mit dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ein neues Gesetz geschaffen, das die Lebensverhältnisse von Asylsuchenden in Deutschland gezielt verschlechtern und die soziale Versorgung auf ein Niveau deutlich unterhalb der regulären Sozialleistungen absenken sollte.
Ziel des Gesetzes war es, Schutzsuchende durch das Wohnen in Sammelunterkünften, durch niedrigere Leistungen und durch Sachleistungen statt Geld abzuschrecken oder zur Ausreise zu bewegen. Auch heute liegen die Regelsätze des AsylbLG deutlich unter denen des Bürgergelds beziehungsweise der Sozialhilfe. Sachleistungen statt Geld bedeuten für die Betroffenen zusätzliche Einbußen. Zudem führt eine nach dem Gesetzeswortlaut stark beschränkte Gesundheitsversorgung in der Praxis zu verspäteter und unzureichender Behandlung, und behördliche Sanktionen führen zu weiteren Kürzungen.
„Die Menschenwürde zählt – für Schutzsuchende darf es keinen niedrigeren Standard geben“, kritisiert Andrea Kothen, Referentin von PRO ASYL. „Es ist Zeit, dieses beschämende Kapitel deutscher Abschreckungspolitik der 1990er Jahre endlich zu beenden.“
Von Anfang an hatten sich Kirchen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen gegen das AsylbLG als diskriminierendes Sondergesetz gewandt. Seit Anfang 2023 fand sich nun ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen unter dem Motto „Es gibt nur eine Menschenwürde – Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!“ zusammen. Sie fordern die Abschaffung des AsylbLG und die Einbeziehung Geflüchteter in das reguläre Sozialleistungssystem. Unter den 200 Unterzeichner*innen finden sich u.a. Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbände, Organisationen von Migrant*innen, Vereinigungen von Anwält*innen, Jurist*innen, Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen, Frauenverbände und Kinderrechtsorganisationen.
Ein Gesetz gegen die Menschenwürde
Mit dem AsylbLG kam man den aggressiven und menschenfeindlichen Stimmen gegenüber Schutzsuchenden in Politik und Gesellschaft Anfang der 1990er Jahre weit entgegen. 2012 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, die Menschenwürde sei „migrationspolitisch nicht zu relativieren“ und verurteilte damit die Absenkung von Leistungen zum Zweck der Abschreckung (Beschluss vom 18.7.2012 – 1 BvL 10/10). Zuletzt verwarf das höchste deutsche Gericht im Oktober 2022 gekürzte Leistungssätze für Alleinstehende und Alleinerziehende in Sammelunterkünften als verfassungswidrig (Beschluss vom 19.10.2022 – 1 BvL 3/21).
Die aktuelle Bundesregierung will das Asylbewerberleistungsgesetz laut Koalitionsvertrag „im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiterentwickeln“. Bis heute ist nicht einmal das Urteil des Verfassungsgerichts vom Oktober 2022 im AsylbLG umgesetzt. Ein Blick in die Geschichte des AsylbLG zeigt allerdings, dass ein von vornherein auf Diskriminierung angelegtes Sondergesetz sich nicht verfassungskonform ändern lässt, sondern je nach politischer Stimmungslage immer wieder dazu einlädt, neue Zumutungen und Schikanen auf den Weg zu bringen. Sozialrechtler*innen weisen zudem stetig darauf hin, dass sehr viele behördliche AsylbLG-Bescheide zum Nachteil von Geflüchteten nachweislich falsch sind und vertreten die davon Betroffenen. Unabhängige Gruppen haben für die Zeit vom 20.-26. Mai bundesweite Aktionstage für die Abschaffung des AsylbLG ausgerufen.
Eine andere Flüchtlingspolitik ist möglich
Die Flüchtlingsaufnahme 2015/16 und die Aufnahme von über einer Million ukrainischer Geflüchtete 2022 haben eine offene und hilfsbereite Gesellschaft sichtbar gemacht. Gleichwohl vereinbarten Bund und die Ministerpräsident*innen der Länder im Mai 2023 Verschärfungen in der Flüchtlingspolitik, die unter anderem auch neue Sozialleistungskürzungen beinhalten. Dem gegenüber verweisen die Integrationsminister*innen der Länder auf die positiven Erfahrungen mit der Gleichstellung ukrainischer Geflüchteter und dringen auf einen zügigen, diskriminierungsfreien Zugang zu Integrationsleistungen „für alle vor Krieg, Gewalt und Verfolgung geflüchteten Menschen“. Für Kommunen und Länder hätte die Gleichstellung von Geflüchteten wegen der stärkeren Bundesbeteiligung und wegfallender Sondergesetz-Bürokratie auch finanzielle Vorteile.
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